My true America

Was der Legende nach als heimliche Vermählung von römischen Soldaten durch Valentin begann, hat sich hier in Amerika abermals zu einem kommerziellen Feiertag gemausert. Klar, auch in der Schweiz feiert man den Valentinstag, doch meist beschränkt sich die Feierlichkeit dort auf einen Blumenstrauss oder die gelegentliche Einladung zum Essen. In den Staaten allerdings ist über fünf Tage jedes bessere Lokal besetzt, Schönheitssalons ausgebucht, jeder Laden blendet in verführerischstem Pink seine Besucher und die Mitarbeiter auf der Post frankieren sich die Finger wund. Es ist echt verrückt.

Es ist schon interessant: Während mir regelmässig die Augen und Ohren übergehen, wenn ich in ein proppenvolles Restaurant spaziere und erfahre, dass die Wartezeit für einen Tisch gut eine Stunde beträgt, tragen die Einheimischen es mit Fassung; sie setzen sich gemütlich in der Wartezone auf Stühle oder Bänke, lassen sich an der Bar nieder oder stehen sich gar – mit Menü und/oder Getränk ausgerüstet – die Füsse platt. Die Warterei an sich stört mich nicht. Wenn man eine nette Begleitung hat, kann man sich sehr kurzweilig unterhalten und die Zeit vergeht wie im Flug. Wo ich an meine Grenze stosse ist, wenn die Platzverhältnisse sehr eng sind. Da wuseln dann Kellner mit Karten oder gestapelten Tellern an dir vorbei, Kunden quetschen sich durch die anstehende Menschenmasse und auch das Abräumpersonal presst sich mit schmutzigem Geschirr durch den wartenden Mob.

So geschehen vergangenen Mittwoch – und man bemerke, Valentin’s Tag war erst am Freitag – in einem Steakhouse. Es war gerade so zwischen 6 und sieben, als wir zur Post wollten. Wir traten ein und nach 10 Minuten anstehen in einer Schlange, die sich keinen Zentimeter – oder Inch, wie ich mir jetzt angewöhnen sollte – bewegte, fragte der beste aller Ehemänner mich, ob er mich zum verfrühten Valentin’s Essen einladen dürfe, anstatt uns hier die Beine in den Bauch zu stehen. Danach könnten wir einen frischen Besuch wagen, die Post ist ja bis 10 Uhr abends geöffnet. Klar, für mich gar kein Problem.

Saltgrass SteakhouseUnd so tauchten wir in eben diesem Steakhouse mit der stündigen Wartezeit und der überladenen Wartezone auf. Wir machten umgehend kehrt und fuhren zum nächsten Steakhouse. Etwas währschafter, dafür mit (vermeintlich) kürzerer Wartezeit von 10 Minuten und weniger beengenden Platzverhältnissen. Nach 10 Minuten, die uns wie eine halbe Stunde vorkamen, wurden wir aufgerufen und die Lady, die uns den Platz anweisen sollte machte sich auf den Weg. Doch was ist das? Eine andere Dame folgt der Platzanweiserin und nimmt unsere Sitze in Beschlag. Glücklicherweise ist gleich der Tisch nebenan frei und bereits gereinigt, so dass wir uns ebenfalls ohne Verzögerung hinsetzen können. In diesem Moment würde das Desaster beginnen, wären wir nicht so entspannt drauf und hätten uns so prächtig unterhalten. Es dauerte mindestens eine Viertelstunde, bis uns ein Kellner fragte, ob bereits jemand die Getränkebestellung aufgenommen habe. Wir verneinen und er entschuldigt sich. Seine Kollegin, die für unseren Tisch zuständig sei, habe heute den zweiten Arbeitstag und komme noch nicht wirklich nach mit der Arbeit. Ausserdem sei die Küche sinnlos überlastet und er könne auch bald nicht mehr. Das die Zusammenfassung seiner Bericht während unseres Besuchs. Nun gut, ihr könnt euch vorstellen was folgt: Die neue Mitarbeiterin kommt doch noch irgendwann vorbei, entschuldigt sich tausendmal, wir kriegen unser Essen natürlich, einfach mit viel Verzögerung und stufenweise. Aber wie gesagt, wir nehmen es locker und verstehen, dass es nicht gerade einfach ist, sich während solch hektischer Zeiten einarbeiten zu müssen.

Jedenfalls machen wir uns gutgelaunt noch auf den Weg in Richtung Post. Es ist inzwischen bereits nach 9 Uhr und so erwarten wir ein ruhiges Bild. Doch nichts dergleichen: Die Schlange, die uns erwartet, ist praktisch identisch zu der, die wir vor über zwei Stunden verlassen hatten. Dies wird uns quasi von einer Dame bestätigt, die ganz geschäftig dabei ist, etlichen Schnickschnack in zwei Pakete zu verpacken. Sie meint, sie habe die Post in den letzten zwei Stunden nicht verlassen. Die Dame repräsentiert eine für mich typisch gewordene Gattung von Post-Besuchern: Die „ich-verwende-die-Wartezeit-in-der-Post-um-meinen-Brief-zu-schreiben-Paketkartons-auszusuchen-die-Etikette-zu-adressieren-und-den-Karton-zusammenzukleben-und-alles-mit-etlichen-Stickern-zu-verschönern“. Soll heissen, es gibt etliche Postbesucher, welche die letzten (oder eben alle) Schritte eines Versandes erst im Postbüro abschliessen, um die Wartezeit während den Stosszeiten optimal zu nutzen. Ich selbst bin auch schon mal dem Syndrom verfallen, als ich ein Paket in die Schweiz senden wollte, jedoch nicht wusste, welches Formular ich dazu ausfüllen sollte. So schnappte ich mir jedes in Frage kommende Dokument und füllte allesamt aus. Als ich dann am Schalter stand, gab mir der Beamte zu verstehen, dass ich ein ganz anderes Papier auszufüllen habe 😀

Jedenfalls unterhielt die Lady in der Post den ganzen Laden, vor allem als sie aus Schusseligkeit ihre kleine Plastikbox mit allerlei Krimskrams herunterschmiss und daraufhin auf dem Boden rumrobbte, um alles wieder einzusammeln. Alle waren prächtig gestimmt und der Postbeamte freute sich sichtlich über die herrschende lockere Atmosphäre. Ich hatte eine wirklich schöne Zeit an diesem Mittwochabend – das ist mein Amerika!

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