
Ja, ich weiss, das ist – im wahrsten Sinne des Wortes – Schnee von gestern; aber jetzt mal ehrlich: Kaum verlasse ich das Land, erlebt die Schweiz einen der wärmsten Winter der Aufzeichnungsgeschichte. Lediglich 1989/90 und 2006/07 waren noch wärmer. Und das nachdem ich mir fast 40 Jahre Winter für Winter den Hintern abgefroren habe. Zugegeben, auch in San Antonio war die kälteste Saison des Jahres kein Zuckerschlecken. Meine beiden Freunde, die mich im Dezember besucht haben, können das glaube ich bestätigen. Doch gar so arg wie in der Schweiz wird es wohl erst, wenn die Sonne für uns über Kalifornien aufgeht.

Ein durchschnittlicher Schweizer Winter bringt dich nämlich an den Rand der Verzweiflung. Da ist beispielsweise die Pneu-Thematik. Während du noch in den Erinnerungen des vergangenen Sommers schwelgst und dich mit etwas Glück über einen goldenen Herbst freust, überrascht dich garantiert ein früher Wintereinbruch Ende Oktober. Draussen wütet ein Schneesturm Galore und dir wird panikartig bewusst, dass du noch immer die Sommerpneus auf deiner Karre hast. Nicht nur ist das ungesetzlich, nein, es ist auch äusserst gefährlich und hochgradig nervtötend. Denn neben dir sind noch tausende anderer Autolenker dermassen im Alltag gefangen, dass keiner von ihnen auch nur im Entferntesten daran gedacht hätte, einen Termin für den Pneuwechsel zu vereinbaren. Und zwar VOR Ende Oktober, denn nein, es ist keine Ausnahme, dass es bereits Ende Oktober schneit und ja, ansonsten sind es eh nur noch wenige Wochen bis zum garantiert ersten Kälteeinbruch und die Erfahrung lehrt einen, dass zwischen der zweiten Novemberwoche bis Ende April sämtliche Pneu-Wechsel-Termine bei allen guten Autowerkstätten ausgebucht sind.

Der letzte Winter, den ich noch in der Schweiz erlebt habe, ist mir noch bestens in Erinnerung. Nur schon beim Gedanken daran kriege ich Eiszapfen an meiner Nase. Es war einer der unendlichsten Winter, den ich je erlebt habe. Im Oktober kam der erste Schnee, der letzte meldete sich wie gewohnt mit Ostern im April. Ich erinnere mich, wie ich eines abends von der Arbeit nach Hause fuhr und eine volle Stunde brauchte, um die Einfahrt zu meinem Haus rauf zu kommen. Wohlgemerkt, ich wohnte damals an einem Hügel, den ich noch erfolgreich erklomm ohne im Strassengraben zu landen (was ich bei mehr als einem anderen Automobilisten mitansehen musste…), doch der letzte Anstieg die Auffahrt hinauf verweigerte sich mir strikte. Erst versuchte ich es mit einer kurzen Weiterfahrt ins Zentrum des 10-Häuser-Weilers in dem ich wohnte, um Anlauf zu holen, dann mittels Handbremse in die Einfahrt zu sliden und danach volle Pulle den kurzen Anstieg rauf zu donnern. Leider alles vergeblich, denn die Einfahrt war von Blitzeis heimgesucht worden und brauchte entsprechende Bearbeitung. So stieg ich denn widerwillig aus, schaufelte und pickelte mir den Buckel ab, bis meine Pneus schliesslich den Grund zu fassen kriegten und ich total erledigt meine Haustür erreichte. Nur wenige Tage später erwartete mich das gleiche Spiel, doch diesmal griff ich zu drastischen Massnahmen – und parkte meinen Mini auf dem Dorfplatz, 20 Meter von meiner Wohnung entfernt (ja, hätte mir schon früher einfallen können…).
Natürlich habe ich in meiner schweizerischen Winterkarriere auch das eine oder andere Auto beim Pirouetten drehen beobachtet. Ein magischer Anblick stiller Anmut, dem du gebannt mit einem stummen Schrei in Munch’scher Manier folgst. Der Adrenalinstoss, der deine Nerven auf Hochtouren schiessen lässt, raubt dir dazu drei gute Jahre deiner wohlverdienten Pension. Berauschend.

Doch nicht nur solcherlei Winterdisziplinen hatten es mir angetan, natürlich freute sich mein adrenalinverwöhntes Herz auch regelmässig über halsbrecherische Abfahrten auf Skiern und Snowboard. Und so zieht dich ein durchschnittlicher Schweizer Winter auch in einen magischen Bann. Zu einer meiner brillantesten Erinnerungen gehört der Moment, als ich bei eitel Sonnenschein auf meinem Snowboard an einem steilen Hang stand und wusste, dass ich jeden Moment die ersten Spuren in den Schnee würde setzen können. Unendlich schien mir die Abfahrt, himmlisch der Pulverschnee, der wie Puder um mich herum hochschoss. Es bildeten sich Regenbogen gegen das leuchtende Sonnenlicht und ich wusste, ich hatte einen perfekten Moment. Dies obwohl die notorische Kälte mir die Nasenhaare einfrieren liess. Zumindest blieb dieses Mal die Nasenspitze taufrisch. Den Albtraum einer angefrorenen Nasenspitze hatte ich bei -25°C einmal auf dem Titlis erlebt. Der Bahnmitarbeiter erwähnte die ausserordentliche Kälte, die sich dank Wind nochmals deutlich kälter anfühlte. Vielen Dank auch. Er wies die Fahrgäste auch darauf hin, sich gegenseitig im Blick zu behalten und einander umgehend zu informieren, wenn Stellen im Gesicht plötzlich weiss werden sollten. Schon nach wenigen Minuten kam ein Freund auf mich zu und wollte mir eine vermeintliche Schneeflocke von der Nase pusten. Die Flocke weigerte sich allerdings hartnäckig, meine Nase zu verlassen, was meinen Freund zum freundlichen Ausruf “Deine Nase friert ein, die Spitze ist ganz weiss!” bewog. Ich verstand dies als Witz auf die Ankündigung des Bergbahnmitarbeiters und lachte mich kurz kaputt, bis ich aufgrund der Mimik meines Freundes begriff, dass er es ernst meinte. Sofort fing ich an, meine Nase mittels intensiver Reibung wiederzubeleben. Sie überstand es. Wegen der plötzlichen erhöhten Blutzufuhr lief ich allerdings den Rest des Tages mit einer “Rudolf Rentier”-Nase durch die Gegend.
Das beweist: In einem Schweizer Winter verbringst du die meiste Zeit damit, dir den Allerwertesten abzufrieren. Und das vermisse ich bestimmt nicht. So schien es mir nur selbstverständlich, dass der erste Winter, den ich nicht mehr mit Hintern abfrieren in der Schweiz verbringen musste, einer der wärmsten der Geschichte war. Ein Gedanke tröstet mich allerdings: Auch wenn es in Texas zwischendurch bitterkalt werden kann, wenigstens bleibt dir die Pneu-Wechslerei erspart.
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Yes, I know, this is water under the bridge or – as it’s called in German – “yesterday’s snow” in the truest sense of the word; but let’s face it: As soon as I leave the country, Switzerland experiences one of its warmest winters of its recording history. Only the winters of 1989/90 and 2006/06 were even warmer. And that after I froze my butt off every winter for almost 40 years. Granted, the cold season in San Antonio wasn’t a picnic either. I believe my two friends who came to visit me in December can confirm that. But I reckon before it gets as bad as in Switzerland the sun rises over California.
Because an average Swiss winter brings you to the brink of despair. There is, for example, the topic of changing tires. While you still wallow in memories of last summer and with a little luck enjoy a golden fall, you’re guaranteed to be surprised by an early onset of winter in late October. A blizzard Galore is raging outside and you – panic-stricken – realize that you still got summer tires on your old clunker. Not only is this illegal, no, it’s also extremely dangerous and highly nerve-wrecking. Because apart from you, thousands of other car drivers are so caught up in their everyday life that neither of them even remotely thought of arranging an appointment to have their tires changed. Especially BEFORE the end of October, because no, it is not an exception that it’s snowing in late October and yes, otherwise it’s only a few more weeks until the first cold spell hits and experience teaches you that in between the second week of November and the end of April all good car repair shops are booked out.
My recollection of the last winter I experienced in Switzerland is still vivid. Even only thinking about it gives me icicles on my nose. It seemed to be never ending. The first snow hit in October and heavens weren’t done snowing until April. I remember driving home from work one evening and taking a full hour to get up the driveway to my house. Mind you, I was living on a hill which I climbed successfully without landing in the ditch (which I saw happen to more than one other motorist…) but the final ascent up the driveway strictly refused itself to me. At first I tried to trick it by driving up into the center of the 10-house hamlet where I used to live to pick-up speed, then sliding into the driveway using the hand brake and then thundering up the short rise at full blast. Unfortunately, this was all in vain because the driveway had been hit by black ice earlier and needed appropriate treatment. So I reluctantly left my car to shovel and hew at the ice in a frenzy until my tires finally caught ground and I reached my doorstep completely drained. A few days later the exact same thing happened, only this time I resorted to more drastic measures – and parked my Mini on the village square 60 feet from my apartment (yes, I should have come up with that one sooner…).
Of course I also observed the odd car performing a pirouette on the freeway during my Swiss winter career. It’s a magical sight of silent grace which you follow spellbound with a muted cry in a “Munch”-like manner. The adrenalin rush, which shoots your nerves into overdrive, deprives you of three perfectly good years of your well-deserved pension. Intoxicating.
But not only such winter disciplines appealed to me, my adrenaline-soaked heart also rejoiced in breakneck downhill skiing and snowboarding, of course. And thus, an average Swiss winter also beguiles you. One of my most brilliant memories includes a moment when I was standing on top of a steep slope with my snowboard on, bathed in bright sunlight, knowing I would be able to put the first tracks into the fresh, powdery snow. The run seemed infinite, the snow heavenly light, shooting up like powder all around me. Rainbows formed against the bright sunlight and I knew I was having a perfect moment. And this despite the notorious cold freezing my nose hair. At least this time the tip of my nose remained dewy. I once experienced the nightmare of a frostbitten nose on Mount Titlis at -13°F. The employee handling the cable car mentioned that thanks to a severe wind the extraordinary cold felt even colder. Thank you very much. He also suggested to keep an eye on each others faces and immediately inform a person if some spot of skin turned white. Only a few minutes later a friend of mine came up to me and tried to blow a snowflake from my nose. When the flake stubbornly refused to leave my nose, my friend saw himself forced to the friendly exclamation of “Your nose is freezing, the tip is all white!” I took this as a joke at the expense of the cable care employee and thus broke into laughter for a brief moment until – owing to the expression on my friends face – I realized that he was serious. Immediately, I began reviving my nose by rubbing it intensely. It survived. But due to the suddenly increased blood supply to my nose, people tended to call me “Rudolph reindeer” for the rest of the day.
That just goes to show you: During a good old Swiss winter you spend most of your time freezing off your behind. That’s one thing I’m certainly not missing about my homeland. Thus it only seems natural that the first winter that I’m not spending freezing off my behind in Switzerland is one of the warmest ones ever recorded. One thought comforts me, however: Even if it can get bitter cold in Texas too, at least I’m spared the changing of tires.
Loved your magic moment… and the adrenaline rush is familiar. it costs three years huh??? Oh dear…;)
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Hehe 🙂 Well, you can make up some of those years if you’re good and eating all your veggies 😉 I have to eat looots of veggies since Roger Federer regularly puts my nerves on edge when I’m watching his matches… I should sue him for lost life time 😀 But then I close my eyes go to my happy place (magic moment) and all is good.
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